Moderatorin im Interview

Ulla Kock am Brink: "Wahrscheinlich ist das der Hintergrund des aktuellen Retro-Booms"

31.08.2022, 16.50 Uhr
von Frank Rauscher

In den 90ern schrieb die "100.000 Mark Show" Fernsehgeschichte, nun feiert die Show ein Comeback. Moderatorin damals wie heute: Ulla Kock im Brink, die sich im Interview an glorreiche Zeiten erinnert.

Früher war alles besser, und die Neunziger waren sowieso das tollste Jahrzehnt aller Zeiten? Na, dann schauen wir doch mal ganz wertfrei auf das Jahr 1993 zum Beispiel: Das Land und seine blühenden Landschaften wurden vom "Kanzler der Einheit" Helmut Kohl regiert, unter Otto Rehhagel wurde mit Werder Bremen deutscher Fußballmeister. Es war das Jahr, in dem Bill Clinton sein Amt als Präsident der Vereinigten Staaten antrat, "Jurassic Park" im Kino abräumte und der Pentium-II-Prozessor sowie das Touchscreen-Smartphone erfunden wurden. Der Liter Diesel kostete 1,11 D-Mark, das Heizöl schlug mit 49 Pfennig pro Liter zu Buche. "Sozialabbau" war 1993 das Wort des Jahres – "Überfremdung" war zum Unwort des Jahres gekürt worden. Niemand wusste was von "WhatsApp", aber im Radio lief "What's Up?" von den 4 Non Blondes in Endlosschleife. Social Media gab es noch nicht – was zählte, war das Fernsehen, und da mauserten sich die privaten Sender gerade zur ernstzunehmenden Konkurrenz für die öffentlich-rechtlichen Programme.

Im Oktober '93 startete ein spektakuläres Unterhaltungsformat seinen Siegeszug, das offenbar exakt in die Stimmung dieser Zeit passte: Die von John de Mol ausgeheckte "100.000 Mark Show" bescherte RTL Quotenhöhenflüge, die Moderatorin Ulla Kock am Brink avancierte mit Anfang 30 zum Star – und ARD und ZDF schauten ziemlich neidisch auf die wilde Spielesause aus Köln. Alles längst TV-Geschichte – die Show lief von 1993 bis 2000, der halbherzige Versuch einer Neuauflage in den Nullerjahren scheiterte. Doch nun gibt es bei ein amtliches Comeback dieses Stücks Fernsehkult. "Die 100.000 Mark Show" kommt zurück – und ab Sonntag, 4. September, 20.15 Uhr, wieder mit dabei ist: Ulla Kock am Brink. Im Interview erinnert sich die 61-Jährige an glorreiche Zeiten.

prisma: Wie ging es Ihnen in den 90er-Jahren, Frau Kock am Brink?

Ulla Kock am Brink: Sehr gut. Es war ein tolles Jahrzehnt – so bunt und fortschrittlich. Ich erinnere mich daran, dass die Gesellschaft nach der AIDS-Welle in den 80ern ein Bewusstsein für Diversität entwickelte, dafür, dass Menschen einfach das Recht haben, ihre Sexualität auszuleben. Ich empfand die Neunziger zudem als sehr genussfreudig. Die Menschen gingen aus, sie reisten, und sie feierten. Auch wenn das Land noch mit den Folgen der Wiedervereinigung rang, hatten die meisten ja nach und nach doch mehr Geld zur Verfügung. Vor allem die Fernsehsender waren damals richtig reich, sie kannten die Sparzwänge heutiger Tage noch nicht. Die Gesellschaft erschien mir damals trotz aller Sorgen, die es sicher auch gab, sehr gefestigt und von Zusammenhalt und Zuversicht getragen. Wir waren im Glauben an die Demokratie viel enger beieinander als heute.

prisma: Können Sie sich für den grassierenden Retro-Boom im Fernsehen erwärmen?

Kock am Brink: Absolut – weil ich Fernsehen einfach liebe und ein echter TV-Junkie bin, seit wir in der Familie unseren ersten Grundig-Farbfernseher hatten. So viele Erinnerungen haben mit Fernsehen zu tun. Schon als Kind, in den 70ern gab es ja nur zwei Programme, saß ich vor "Flipper", "Pippi Langstrumpf" und "Lassie". Ich war Fan von "Bonanza" und von "Die Leute von der Shiloh Ranch". Habe alles von Hans-Joachim Kulenkampff und Rudi Carrell aufgesogen. Das Beste war: Wir saßen damals immer zu sechst vor der Kiste, alle gemeinsam – wir waren vier Kinder. Da herrschte mal himmlische Ruhe im Wohnzimmer. Es sei denn, Gerhard Löwenthal war im ZDF mit "Kennzeichen D" zu sehen, da schwangen sich meine Eltern auf der Couch regelmäßig zu politischen Grundsatzdebatten über den real existierenden Sozialismus auf. Ach, es war großartig, das Fernsehen, und meine Begeisterung ist bis heute ungebrochen. Wahrscheinlich war meine TV-Karriere doch irgendwie logisch (lacht).

prisma: Gilt Ihr Wohlwollen im Rückblick eher dem Programm oder dem Event?

Kock am Brink: Es ist eine Mischung aus beidem. Das Fernsehprogramm hat man damals ja noch nicht ständig hinterfragt, das war vielleicht auch gar nicht nötig, weil es immer eine einmalige, relativ kurzlebige Angelegenheit war: Man sah sich eine Sendung an – und gut war's. Fernsehen spaltete nicht, es vermochte, Harmonie zu erzeugen. Wahrscheinlich ist das auch der Hintergrund des aktuellen Retro-Booms: Gerade in eher schwierigeren, komplexen Zeiten suchen die Leute so etwas. Auch wenn es dieses Lagerfeuer-Fernseherlebnis frühere Tage wohl nicht mehr geben wird.

prisma: "Die 100.000 Mark Show" war damals so ein Gassenfeger!

Kock am Brink: Oh ja. Teilweise sahen mehr als zehn Millionen Menschen zu – eine neue Dimension für die Unterhaltungsprogramme im Privatfernsehen. Die öffentlich-rechtlichen Sender, die die Privaten bis dato noch belächelt hatten, nahmen uns plötzlich ernst. Mir wurde damals aus dem Umfeld der "Wetten, dass ..?"-Produktion zugetragen, dass einige der Verantwortlichen durchaus nervös geworden sind.

prisma: Es gab natürlich weniger Alternativen – und die Menschen hatten mehr Vertrauen ins Programm!

Kock am Brink: Genau. Das aber auch zu Recht: Alles, was beispielsweise in unserer Show passierte, war echt. Wir wollten echte Emotionen, wir bekamen sie, und wir zeigten sie. Es gab bei uns Freudenschreie und Tränen. Die Spiele in der Show waren in keinster Weise manipulierbar, und ich selbst habe nach den Aufzeichnungen stets darauf geachtet, dass meine Moderationen so gelassen werden, wie sie nun mal waren – mit den kleinen Fehlerchen. Ich war gerade am Anfang sehr aufgeregt, muss ich zugeben, aber ich bin überzeugt, dass es vor der Kamera ruhig mal menscheln darf, und dass das vom Publikum sogar gewünscht wird.

prisma: In den Medien wurde damals viel darüber diskutiert, ob eine Gewinnsumme von 100.000 Mark nicht unanständig viel Geld ist für so ein bisschen TV-Unterhaltung ...

Kock am Brink: Ja. Aber viel beschäftigt habe ich mich damit nicht. Ich war auf einem anderen Planeten. Hatte viel damit zu tun, meine Moderationen zu verbessern. Der Umgang mit einer großen Studiobühne, mit all ihren Gängen und Nischen, vor allem mit den vielen Kameras, das ist eine Wissenschaft für sich. Das darf man nicht unterschätzen. Es sollte ja nicht nur gut, sondern – für damalige Verhältnisse – gigantisch aussehen. Das war ziemlich großes Fernsehkino, was wir da gemacht haben.

prisma: Haben Sie zur Vorbereitung aufs Comeback auch mal in die ein oder andere alte Folge geschaut?

Kock am Brink: Ja – gleich die erste Ausgabe habe ich mir noch mal in voller Länge angesehen. Mit Entsetzen habe ich festgestellt, dass ich damals vor lauter Schnappatmung kaum reden konnte und dass ich abartig schlechte Klamotten anhatte. Das Verrückteste aber war, dass ich mir nun dachte: "Boah, was warst du jung!" – Dabei weiß ich noch genau, dass ich mich seinerzeit eigentlich uralt gefühlt hatte mit meinen 33 Jahren (lacht).

prisma: Wie fanden Sie die alte Show qualitativ?

Kock am Brink: Die war Hammer! Das Tempo, die Emotionen! – Was wir gemacht haben, empfinde ich heute noch als revolutionär. Das war im Vergleich zu den Öffentlich-Rechtlichen schon eine andere Nummer.

prisma: Sie waren bereits seit 1988 als Redakteurin bei RTL, bis Sie irgendwann vor die Kamera wechselten. Erinnern Sie sich noch an den Geist, der damals im Sender herrschte?

Kock am Brink: Total – wie wohl jeder, der dabei war. Es herrschte eine Goldgräberstimmung, alles war im Aufbruch, alles schien möglich, alle hatten Lust auf das Abenteuer Fernsehen. Da waren tolle Leute, wir hatten viel Geld zur Verfügung – und wir hatten den Produzenten John de Mol, der in diesen Zeiten unfassbar viel für RTL bewirkt und manches Tabu gebrochen hat. Vor allem hat er Gefühle zugelassen, was auch den Werbekunden richtig gut gefiel. Goldene Zeiten!

prisma: Und Sie wagten ausgerechnet in diesen Tagen und zwischen Sender-Granden wie Hugo-Egon Balder, Hans Meiser und eben John de Mol den Schritt vor die Kamera. Wie war das?

Kock am Brink: Aufregend. Und erstaunlich geschmeidig. Ehrlich gesagt, war es ein kurzer, nicht beschwerlicher Weg. Ich hatte damals als RTL-Redakteurin ein effizientes Castingsystem entwickelt, das dem Sender eine Menge Geld sparte. Plötzlich war ich die "Casting-Queen". Ich baute in dieser Zeit schon meine eigene Firma auf – während ich für RTL in der Redaktion und vereinzelt auch schon vor der Kamera weiterarbeitete. Ich füllte beim Wetter Lücken, wenn jemand krank war, ich machte erste Warming-Ups für TV-Shows ... Ich erinnere mich an Heulkrämpfe, die ich hatte, weil ich nur so tat, als wüsste ich, was ich da zu tun hatte. Trotzdem bin ich einigen wohl positiv aufgefallen. Jürgen von der Lippe sagte, dass ich unbedingt vor die Kamera gehöre. Irgendwann bat mich Rudi Carrell in sein Anwesen nach Syke, wo er mir den Job der Assistentin in seiner Postleitzahlenshow "Die Post geht ab!" antrug.

prisma: Und? Was haben Sie gesagt?

Kock am Brink: Dass er da lange warten kann. Ich bin eine taffe Bottroper Göre, ich wackel sicher nicht im goldenen Glitzerkleid mit dem Silbertablett voller Postleitzahlen auf der Hand durch ein Fernsehstudio. Ich bin keine Assistentin! Natürlich ging mir dabei auch ein bisschen die Muffe: Du kannst doch einem Rudi Carrell nicht eine derartige Abfuhr vor den Latz knallen!

prisma: Wie reagierte er?

Kock am Brink: Total cool. Er lachte: "Ach so, du willst Chef sein – sag' das doch gleich!" Dann kam eines zum anderen. In Rudi Carrell fand ich einen Fürsprecher, und dann kam ich mit John de Mol in Kontakt. Er rief an, weil er für eine neue Spielshow "Glück am Drücker" innerhalb von drei Monaten mal eben 600 Kandidaten brauchte, die ich ihm liefern konnte. Als er dann für "Verzeih mir!" eine Moderatorin suchte, meinte er, dass ich mich doch gleich mal selbst mitcasten solle. Mit positivem Ausgang: "Wahrscheinlich bist du viel zu taff, aber ich will's mal mit dir versuchen", sagte er. Und so wurde ich Moderatorin einer eigenen Sendung, und es kam, wie es kommen musste: Nämlich, dass ich gleich in der ersten "Verzeih mir!"-Folge in Tränen ausbrach, nachdem die erste Kandidatin, Alexandra aus Oberhausen, ihre Story, wie sehr sie als Teenager die Mutter gequält hat, erzählt hatte ... Es ist, als wäre es gestern gewesen.

prisma: Und John de Mol?

Kock am Brink: Der fand das klasse und machte im Hintergrund die Becker-Faust, weil er schon ahnte, dass so eine Heulsuse wie ich gut ins Fernsehen jener Tage passen würde. "Die 100.000 Mark Show" war also die logische Folge. Jedenfalls fast – weil eigentlich ein Mann moderieren sollte. Aber RTL wollte damals einen Exklusivvertrag mit mir – und so habe ich mich durchgesetzt. Da war ich einmal richtig schlau.

prisma: Sie sind offenbar vollkommen angstfrei ...

Kock am Brink: Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe oft Angst. Aber ich bin auch schon immer sehr abenteuerlustig. Ich war das Mädchen, das mit der Jungsbande rumzieht und die Wiese anzündet, wenn Sie verstehen ... Ich bin eine kleine Wilde, sehr begeisterungsfähig und dann wohl auch ziemlich durchsetzungsstark. Wenn ich etwas unbedingt will, dann kriege ich das normalerweise auch.

prisma: In den letzten Jahren war es recht ruhig um Sie ...

Kock am Brink: Was nicht heißt, dass ich auf der faulen Haut lag (lacht). Ich mache immer irgendwas, aber ich definiere mich keineswegs über meine Präsenz als Moderatorin. Ich bin wohl nicht eitel genug – jedenfalls brauche ich keinen Medienrummel, sondern freue mich aufrichtig, wenn ich meine Ruhe habe. Ich habe zum Beispiel ein Buch geschrieben, Drehbücher für fiktionale Serien verfasst, unheimlich viele Dinge ausprobiert, mich im Kochen perfektioniert. Sogar das Kitesurfen habe ich gelernt – oder eher nicht: Ich bin leider schrecklich untalentiert.

prisma: Die Gala schrieb unlängst, Sie seien in Topform. Haben Sie sich für die neue Sendung eigens in Form gebracht?

Kock am Brink: Ach wo. Ich habe trainiert, ja, aber nicht für die Sendung, sondern nur für mich. Alles, was ich tue, dient meinem Wohlbefinden – so halte ich es auch beim Sport. Also: Der Schweiß muss fließen – das ist herrlich. Zweimal die Woche Personal Training: Cardio-Fitness und Krafttraining. Darauf schwöre ich. Es ist genau die richtige Mischung in meinem Alter.

prisma: Sie sind mit Ihrem Mann nach Sylt gezogen. Was ist auf der Insel schöner als in Berlin?

Kock am Brink: Na, das Wetter! Es ist viel überraschender – ich kann dort immer meine Nase in den Wind halten. Die Natur ist umwerfend schön, und als echtes Wasserkind liebe ich es einfach, am Meer zu sein. So richtig glücklich bin ich immer dann, wenn ich mich eine Stunde lang ohne Smartphone in den Sand setze und die Wellen beobachte. Da habe ich, was ich brauche.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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